27. Juli 2019 – Cascais – Anreise
Ich mache am Freitag nach dem Mittag Feierabend. Uff, Urlaub, morgen geht’s zum Schiff. Karl-Heinz und Valentin sind schon Donnerstag angereist und schicken Bilder per Whatsapp. Während ich den ganzen Nachmittag meine Sachen erledige, sitzen die beiden schon im Cockpit und vergreifen sich an den Weißweinvorräten. Das Motorrad vom Händler geholt, das Auto aus der Werkstatt. Und gleich da gelassen, das Dach vom Cabrio geht immer noch nicht zu. Abends hole ich noch Miri vom Bahnhof ab, sie war mit 5 Freundinnen für eine Woche auf dem Boot. Das war für die 6 Lehramtstudentinnen bestimmt eine logistische Meisterleistung, wir kommen uns zu dritt schon immermal in die Quere. Ich bringe Miri direkt zum Tierarzt, wo Dave schon mit Layla, Miris Hündin wartet. Beim Rumtoben hat sie sich den Haxen verdreht, hoffentlich nicht schlimmes. Wieder zuhause packe ich die letzten Sachen zusammen. In Deutschland ist es zurzeit bis 40 Grad heiß, und so schlafe ich erst spät ein. Um 2.30 Uhr ist die Nacht dann auch schon zu Ende, mein Flieger nach Lissabon geht um 7 Uhr.
Der kommt leider nicht pünktlich los, die Gangway ist kaputt, und so müssen alle Passagiere in einen Bus steigen und werden die 100 Meter zum Flugzeug gebracht. Sachen gibt’s.
In Lissabon nehme ich mir ein Taxi zum Bahnhof, dem Cais Sodre. Vor meiner Nase prangt ein großes Schild, no fumare, aber der Fahrer zieht eine Gauloise nach der anderen durch. Der Zug vom Lissabon nach Cascais führt entlang des Tejo, ich genieße für 3,40 Euro die tollen Ausblicke, während wir durch kleine Ortschaften und an tollen Stränden vorbei rollen. Den letzten Kilometer laufe ich zu Fuß durch die schöne Innenstadt von Cascais, mein Gepäck schneidet an den Schultern tief ein.
Dann liegt sie endlich wieder vor mir, meine kleine Dreadnought, meine Fürchtenichts. Karl-Heinz hat schon den reparierten Code Zero wieder hochgezogen. Ich habe das Gefühl, dass mein Greifswalder Mädchen auch los will. Stark und schön liegt sie da.
An Bord werde ich mit einem Gin Tonic begrüßt. Und noch einem. Nach dem leckeren Rührei gibt es Weißwein. Mannomann, das geht ja schon wieder los, bei den „others“. Ladies, Gentlemen and others hatte Valentin mal bei einer Ansprache begrüßt, und wir hatten schon letztes mal festgestellt, dass wir am ehesten in die Kategorie „others“ fallen.
Unseren Abschiedsabend verbringen wie mit einem Rodizio. Bei dieser brasilianischen Köstlichkeit servieren die Kellner gegrillte Fleischspieße, direkt am Tisch wird das Fleisch mit einem langen, scharfen Messer abgeschnitte. 12 Sorten verschieden zubereitetes Rindfleisch machen uns mehr als satt, der Spaziergang zum Boot tut richtig gut.
28. Juli 2019 – 1. Seetag - Blauwassersegeln
Wir laufen kurz nach sieben Richtung Madeira aus, 500 Seemeilen freier Seeraum liegen vor uns. Punkt sieben stand wie verabredet der Hafenmeister vorm Boot und nahm die drei Codekarten zurück, die uns den Steg und die Toiletten öffneten.
Valentin fährt das Ablegemanöver. Nach der Hafenausfahrt fahren wir erstmal wieder Slalom, um nicht in eines der hunderte Fischernetze zu geraten. Wir segeln mit dem neu geflickten Code Zero, den wir aber bereits nach einer halben Stunde gegen die Arbeitsfock tauschen. Es pustet mit 4 bis 5 Beaufort, toller Wind, aber eine unangenehme Welle. Mittags erwischt es mich dann. Als ich unter Deck rumkrame, wird mir schlecht. Seekrank. Ich durchlaufe die erste Phase der Seekrankheit, in der man glaubt, man stirbt. Die zweite Phase umgehe ich mit 2 Tabletten Vomex. Die zweite Phase ist die schlimmere, weil man in feststellt, dass man nicht stirbt. Nach einem Schläfchen geht es mir wieder gut.
Dafür wird nachmittags Karl-Heinz plötzlich sehr still. Naja, der Eimer steht ja noch hinten im Cockpit. Valentin beeindruckt das Geschaukel gar nicht. Er erzählt von den Delfinen, die uns besucht hatten, als ich unter Deck mit dem Tode rang. Abend zaubert Valentin dann noch einen leckeren Salat, brät dafür Hähnchenfleisch.
Als wir tiefes Wasser erreichen (es ist hier ca. 3000 Meter tief), wird die Welle länger und gleichmäßiger. So segeln wir ruhig in unsere erste Nacht auf See, genießen den blutroten Sonnenuntergang.
29 Juli 2019 – 2. Seetag – Bordleben
Die Nacht ist sternenklar. Ab 22 Uhr bin ich alleine im Cockpit. Über mir Milliarden von Sternen. Da auch der Mond nur eine schmale Sichel ist, gibt es kein Licht außer den Sternen. Ich knipse bei randale nordic alle Lichter aus, bis auf mein kleines rotes Licht unter der Sprayhood, dass ich zur Orientierung brauche. Magisch. Ich liege auf dem Rücken auf der teakbelegten Bank und genieße den Moment. Irgendwann fallen mir immer wieder die Augen zu, ich stelle mir den Wecker im 10-Minuten-Takt. Um 1 Uhr übernimmt Karl-Heinz. Seine Wache ist leider weniger schön, es zieht sich zu und beginnt sogar zu regnen, der Wind nimmt zu und das Schiff bockt durch die Nacht.
So bin ich auch schon kurz nach sechs wieder an Deck. Der Wind hat ordentlich zugenommen. Nach Sonnenaufgang beschließen wir, das Großsegel auf ein Minimum zu reduzieren, wir gehen ins 3. Reff. Das bringt wieder Ruhe ins Schiff, wir laufen aber immer noch gut 6 Knoten.
Zum Frühstück mache ich mir ein Müsli. Der Himmel reißt wieder auf und vor uns liegt ein herrlicher Segeltag bei strahlendem Sonnenschein. Karl-Heinz duscht auf dem Achterdeck, kippt mehrere Eimer Atlantikwasser über sich. Respekt, Herr Scherer. Ich wasche mich unter Deck, im Bad, mit warmen Frischwasser. Das darf ich mir dann auch noch den halben Tag anhören, Warmduscher wird mein zweiter Vorname.
Wir reffen mehrmals an dem Tag ein und aus. Der Wind weht kontinuierlich aus Nord, schwankt zwischen 3 und 5 Windstärken, einzelne Böen erreichen 6 Beaufort. Segeln im Passat.
Valentin kämpft unerbittlich in der Kombüse, schnippelt Gemüse und Salat, schneidet Brot, Wurst und Käse. Abend kocht er einen Eintopf, den Andrea vorgekocht hatte. Den Abwasch erledigen wir draußen, nehmen dafür Atlantikwasser. Geht prima, nicht nur Karrl-Heinz bringt das Salzwasser wieder zum Strahen, auch das Geschirr wird gut sauber.
Am zweiten Tag hat sich schon so etwas wie Bordroutine eingestellt. Die Manöver klappen wieder flüssiger, wir finden unsere Sachen schneller wieder und auch der Wach-und Schlafrhythmus spielt sich ein.
So segeln wir entspannt in unsere zweite Nacht. Es sind noch ca. 300 Seemeilen bis Madeira.
30. Juli 2019 – 3. Seetag – Not my day
Nachts um 3 weckt Karl-Heinz mich. Von Steuerbord nähert sich ein Frachter in spitzem Winkel. Schlaftrunken versuchen wir die Situation zu beurteilen. Eigentlich müsste er uns ausweichen, Segler haben Wegerecht. Unser AIS-Computer berechnet, dass er eine Meile vor uns durchgeht. Und so ist es auch, alles gut. Nach nur 2 Stunden Schlaf krieche ich wieder in meine Koje, komme aber nicht mehr zur Ruhe. Ich quäle mich bis zum Morgen, schwitze, habe Kopfschmerzen. Was ist das? Seekrankheit oder ne Erkältung? Ich durchsuche unseren Medical-Koffer, den meine Töchter mir gepackt haben. Ich finde Vomex gegen die Übelkeit, Ibus gegen die Erkältungssymptome. An Deck wird es dann etwas besser.
Der Wind ist recht frisch, das Schiff rockt sich durch den blauen Antlantik. Im Laufe des Vormittags frischt er bis 6 Windstärken auf, die Wellen erreichen teilweise eine Höhe von 5 Metern. Alles ist sehr mühselig. Karl-Heinz verzichtet gleich ganz aufs Frühstück. Nur unsere Schweizer Garde nimmt die Situation gelassen. Ich glaube, Valentin würde auch in einem Hurrican noch fragen, ober er uns was zum Essen machen soll.
Wir beschließen, das Großsegel ganz zu bergen. Dazu müssen wir das Schiff in den Wind drehen, einen Am-Wind-Kurs-laufen. Zwischen mir und Karl-Heinz entsteht in unserer gereizten Stimmung eine Diskussion, ob man besser in Luv oder Lee auf das Vorschiff geht. Über Bord gehen oder bei einer Patenthalse vom Baum enthauptet werden. Letztendlich vielleicht eine philosophische Frage, ich persönich bin wasserscheu und sowieso manchmal kopflos.
Das Manöver gelingt und nur unter der Fock läuft das Boot gut beherrschbar seinen Kurs. Ich fühle mich den ganzen Tag kraftlos, auch Karl-Heinz verbringt viel Zeit in der Koje. Was machen wir hier draußen, auf einem Boot etwas größer als unser Bad zuhause, hunderte Seemeilen vom Land?
Wir segeln in die Nacht, ich übernehme wie immer die erste Wache. Über eine Stunde früher als sonst kommt Karl-Heinz an Deck und fragt, ob er übernehmen soll? Ich nehme dankbar an und revanchiere mich, als ich mich auch deutlich früher wieder aus der Koje quäle. Diese Zeilen schreibe ich bei völliger Dunkelheit im Cockpit sitzend, es ist 5 Uhr Bordzeit. Ich fühle mich deutlich besser. Mein kleines Rotlicht gibt mir Orientierung in der Dunkelheit. Um mich herum das rauschende Meer, über mir der sternenklare Himmel. In zwei Stunden geht die Sonne wieder auf. Vielleicht bin ich deshalb hier draußen!
31. Juli 2019 – 4. Seetag – Segeln im Passat
Der Tag verläuft deutlich entspannter als der vorige. Der Wind hat deutlich nachgelassen, und so entspannt sich auch das Bordleben. Wir essen, reden, trinken. Die Sonne scheint den ganzen Tag, und so können wir unsere Abendmahlzeit im Cockpit am ausgeklappten Cockpittisch zu uns nehmen. Alles ist gut.
Am späten Nachmittag kommt Porto Santo in Sicht, die kleinere Nachbarinsel von Madeira. Als ich die erste Wache übernehme, ist es schon stockdunkel. Lediglich die Insel wirft etwas Licht in den Himmel, ein weit strahlendes Leuchtfeuer am südöstlichen Punkt von Porto Santo gibt mir Orientierung. Der Wind schiebt das Schiff von hinten, nur unter dem Großsegel zieht randale nordic durch die Nacht. Um an dem Kap vorbeizukommen, muss ich das Segel auf die andere Seite bringen. Nicht ganz einfach, bei der Welle und dem Wind eine Halse zu fahren, ohne den Mast abzurasieren. Das Manöver gelingt mit Motorhilfe und ich kann direkten Kurs auf Madeira nehmen.
1. August 2019 – Madeira – Spektakuläre Aussichten
Als ich Karl-Heinz morgens um 4 ablösen will, schickt er mich nochmal in die Koje. Ich werde erst kurz vor Sonnenaufgang wieder wach und löse ihn ab. Als es hell wird wecke ich auch Valentin. Es ist ein großartiger Moment, als sich die Konturen der fast 2000 Meter hohen Insel am Morgenhimmel immer deutlcher zeigen. Details werden sichtbar, riesige Felsen und Höhenzüge, Wälder und in die Berglandschaften gebaute Häuser. Wir bestaunen die architektonischen Leistungen, Häuser die direkt an steil abfallenden Abhängen gebaut wurden, Brücken, die Täler überspannen.
Die Ansteurung der Marina in Funchal ist unkompliziert. Eine Viertelstunde vor dem Hafen kündigt Valentin uns auf Kanal 9 an. Funchal Marina, Funchal Marina, this ist Sailing Vessel randale nordic. Der Hafenmeister empfängt uns an der Hafeneinfahrt, zeigt uns unseren Liegeplatz und hilft beim Anlegen. Vor dem Besuch des Hafenbüros müssen wir beim Zoll vorbei schauen. Wir füllen Formulare aus, es werden Kopien gemacht. Wir bezahlen unsere 17,32 Euro die Nacht, erhalten dafür den Schlüssel für den Sanitärbereich und gehen zurück an Bord, wo wir bei einem Gin Tonic Kontakt zu Bettina aufnehmen, der Freundin von Karl-Heinz aus Kindertagen, die zeitweilig auf dem Eiland lebt.
Nach dem Frühstück holt sie uns mit ihrem Leihwagen ab, es geht in die Berge. Über Serpentinen erreichen wir einen Aussichtspunkt, von dem man in das über tausend Meter darunter gelegene Nonnental schauen kann. Schwindelerregend. Großartig. Die Bebauung im Tal wirkt wie bei einer Modeleisenbahn. Das Tal hat seinen Namen von den Nonnen aus Funchal, die sich zu Piratenzeiten in das Hochland zurückzogen und dort sich selbst und ihre Habseligkeiten schützten. Wir entdecken immer neue Details von unsrem luftigen Miradouro, einen Bagger, der ein Flussbett ausbaggert, schwimmende Kinder, Autos die von hier aussehen, als wären sie von Matchbox.
Am Nachmittag zeigt uns Bettina ihr Haus in Madalena. Es liegt direkt am Meer und wir bewundern bei einem Kaffee den Blick und lernen, wie man im Süden mit Kakalaken fertig wird. In der Nachbarschaft ist eine kleine Bananenplantage. Die kleinen Schwestern der Chiquita werden überall auf der Insel angebaut, auch in großer Höhe und an steilen Hängen. Wir gewinnen ziemlich Respekt vor den Menschen, die sich mit den Früchten einen Nebenverdienst sichern.
Abendessen gibt es in einem kleinen Hotel. Grüner Wein, Napfschneccken, Thunfisch. Und den großartigen Blick auf den Atlantik, der heute Abend so friedlich vor uns liegt.
Nach dem köstlichen Abendessen direkt am Strand fallen wir spät abends in die Koje, eine Nacht ohne Geschaukel lässt und entspannt schlafen.
2. August 2019 – Madeira – Energiewende und Bergwelten
Um 7 Uhr kommt langsam Leben ins Schiff. Aus der Kajüte von Karl-Heinz kommt Gemecker über sein neues Handy, das die Nacht nicht geladen hat. Während Karl-Heinz sich über den “elektronischen Scheißdreck” aufregt, habe ich den Verdacht, das unsere 220V Bordversorgung nicht funktioniert. Ich gehe erstmal duschen, danach machen wir und auf Fehlersuche. Ein anderer Blauwassersegler hat mal gesagt, Fahrtensegeln bedeutet sein Schiff an den schönsten Orten der Welt zu reparieren. Schnell steht fest, dass die Kontakte unserer Außensteckdose abgeraucht sind wie ein alter Kommodenfuß. Während Karl-Heinz zum Schiffsausrüster trottet, macht Valentin Frühstück und ich klebe eine aufgegangene Naht an unserer Fock. Als Karl-Heinz zurück ist, kann er die Steckdose notdürftig reparieren. Dem Bordingenieur ist wirklich nix zu schwör.
Fast pünktlich sind wir an dem Treffpunkt, an dem uns Bettina aufgabelt. Sie will uns heute die West-und Nordküste der Insel zeigen. Wir fahren mit dem Leihwagen auf eine Höhe von über tausend Metern. Wir bestaunen immer wieder spektakuläre Ausblicke auf Hochgebirgslandschaften. Madeira ist unfassbar grün, bis an die Bergspitzen ragt die Vegetation. Wir durchfahren Eukalyptuswälder, erreichen ein Hochmoor und bewundern beim “Abstieg” an der Westküste die wuchernden Hortensien am Straßenrand, die die Straßen kilometerweit umwuchern.
An der Westküste gibt es in Achadas da Cruz eine kleine Seilbahn, die uns am steil abfallenden Ufer von 600 Metern auf Strandhöhe bringt. Dort unten gibt es kleine Bauernhäuser, die Bergbauern dort vor langer Zeit angelegt hatten, als die Gärten bei einem Unwetter den Berg runter gerutscht waren. Die meisten sind heute verlassen, es sind aber auch vereinzelt kleine Paradiese entstanden. Wir pflücken kleine Weintrauben, die in den wuchernden und nicht mehr bewirtschafteten kleinen Parzellen wild vor sich hinwachsen.
Die Küstenstraße führt uns weiter nach Porto Moniz. Bei einem kalten Glas Sagres, dem portugiesischen Bier und Muscheln und gebratenen Sardinen bewundern wir den Blick auf die Naturschwimmbecken, die dort direkt am Strand angelegt wuden. Zurzeit ist Flut und der wogene Atlantik füllt die Becken indem er über die Außenkante der Piscinas Naturais schwappt. Summerfeeling pur.
Bevor wir am Abend wieder in Funchal ankommen, genießen wir noch Suppe im Brot und überbackenen Kodfisch. Valentin wählt die Pasta mit Mereresfrüchten, der “Grüne Wein”, ein junger Weißwein, passt perfekt dazu. Die Insel hat in den letzten Jahrzehnten unfassbare Summen in die Infrastruktuer investiert. So gibt es auf der Insel, die etwa so groß ist wie Rügen, 140 Tunnel mit einer Gesamtlänge von über 70 Kilometern. Man gelangt so schnell von einem Punkt der Insel zum andren, hatt aber auch eine Verschuldung von 7,5 Milliarden Euro hinterlassen.
Die Insel hat uns wieder sehr beeindruckt, mit ihren wunderschönen Ausblicken und der wuchernden Flora. Obrigado, liebe Bettina, du bist wirklich eine tolle Fremdenführerin.
3. August 2019 – Funchal – Schwarzwaldfeeling
Unser letzter Tag auf Madeira beginnt mit einem Müsli-Frühstück. Karl-Heinz quetscht Hafer mit seiner kleinen Mühle, schnippelt das Obst und rührt den Joghurt unter. Es stehen kleine Erledigungen an. Während ich das Schiff wasche und vom Staub befreie besorgt die Crew Proviant für die Überfahrt nach Lanzarote und kauft in einem kleinen Laden Elektroersatzteile für unser 220 V Bordnetz. Die Außensteckdose ist immer noch ein Provisorium, und wird es auch noch bleiben, da wir keine geeignete neue finden.
Um 10 Uhr holt uns Bettina ab, wir wollen noch einmal in die Berge. Die erste Teiletappe ist Monte, ein Vorort von Funchal. Wir besuchen dort die Kirche und staunen über die Schlitten, mit denen man sich ins Tal fahren lassen kann. Von 2 Männernn gelenkt donnern die Holzschlitten über kleine, asphaltierte Gassen Richtung Meer. Wow!
Es geht weiter bergan. Wir durchfahren die verschiedenen Vegetationszonen. Vor einigen Jahren gab es auf Madeira verheerende Waldbrände, die Folgen sind noch heute sehr präsent. Große Baumriesen stehen an den Hängen, verkohlt und ohne ein Blatt. Die Natur erholt sich nur langsam, aber der überall präsent Eukalypthuswald erobert die Täler und Bergkämme zurück.
Am Gipfel angelangt erwartet uns ein Restaurant und eine Radarstation mit einer riesigen kugelförmigen Kuppe. Wir haben heute Glück, der Nebel und die Wolken liegen unter uns, und so können wir auf fast 2000 Meter Höhe den Atlantik und andere Gipfel sehen.
Wir fahren weiter Richtung Norden, es geht bergab. Wir folgen dem Lauf der Straße, die duch ein enges Tal führt. In Sepentinen fahren wir durch einen dichten, dunklen Wald. Ein eiskalter, klarer Gebirgsbach fließt neben der Straße. Der Bach speist eine Forellenzucht, wo wir eine Pause einlegen. In mehreren Becken, gefüllt mit dem Wasser des Baches, sehen wir tausende von Forellen, in den Becken sortiert nach Alter und Größe. Vier Exemplare lassen wir uns dann in dem Restaurant schmecken. Gegrillt, mit Kartoffel und Salat, essen wir den Fisch und sitzen unter alten Bäumen. In dem Tal ist es beinah kühl. Auf der Nordseite der Insel trifft der Passat auf die Berge der Insel und bringt viel Feuchtigkeit mit.
Den Nachmittag verbringen wir auf dem Schiff. Es ist Tradition, dass Yachtcrews sich an der Hafenmole verewigen. Mit 2 Dosen Sprühfarbe hinterlassen auch wir unsere Spuren. Karl-Heinz, der alte Graffitisprüher, zaubert aus dem Handgelenk schwungvoll den Namen unseres Schiffes an die Mauer: '19 randale nordic.
Wir sitzen noch lange mit Bettina im Cockpit, trinken Weißwein, knabbern an den Vorräten und genießen die Hafenatmosphäre.
4. August 2019 – Atlantik – Richtung Lanzarote
Der Wecker klingelt um 5 Uhr Bordzeit, das ist 4 Uhr Madeira-Zeit. Wir wollen heute Richtung Lanzarote segeln, ungefähr 300 Seemeilen, 2 Tage und Nächte. Die Wetterprognosen sind sehr gut, der Nordost-Passat soll die nächsten Tage mit ca. 15 Knoten wehen.
Die Mannschaft springt noch schnell unter die Dusche, ich mache in der Zeit das Schiff klar zum Auslaufen. Ein letzter Blick auf unseren Schriftzug an der Hafenmauer und randale nordic läuft unter Maschine durch die Molenköpfe, passiert das Fährterminal und nimmt Generalkurs 140 Grad, Lanzarote liegt südöstlich Madeiras. Der Wind ist sehr schwach, und so wird die Maschine bis zum Nachmittag laufen. Wir passieren Deserta Grande, eine Insel, die auch zum Madeira-Archipel gehört. Ob das der “Große Nachtisch” bedeutet? Es ist sehr mild hier draußen, unseren ersten Kaffee trinken wir bereits in Shorts und Tshirt. Und es wird im Verlauf des Tages immer wärmer, ein Vorgeschmack auf die Karibik. Wir setzen die zusätzlichen Sonnensegel, die ich mir noch in Heiligenhafen beim Segelmacher hatte machen lassen. Trotzdem verbrenne ich mir im Lauf des Tages den Pelz, irgendwie vergesse ich immer eine Stelle, die nicht eingecremt ist. Heute sind es die Oberschenkel.
Mittags kocht Valentin einen Riesentopf Cilli con Carne. Ich kann es kaum glauben, aber der Pott wird leer. Träge liegen wir in der Sonne oder im Schatten, lesen, unterhalten uns. Am Nachmittag setzt endlich der Passat ein, wir setzen den Code Zero und das Großsegel, das Schiff zieht wieder leise seine weiße Spur in das blaue Meer.
Ich erreiche Britta über das Satellitentelefon. Immer ein bisschen fummelig die Anrufe, die ausklappbare Antenne des Telefons muss auf die Inmarsat-Satelliten Richtung Äquator ausgerichtet werden. Aber es reicht immer, um die wichtigsten Informationen auszutauschen. Britta ist bereits seit letzter Woche auf Lanzarote, und heute ist auch Evelyn, Valentins Frau auf der Insel angekommen. Wir freuen uns schon sehr auf unsere Frauen, die wir Dienstagvormittag wiedersehen werden. Lauf randale, lauf!
5. August 2019 – 100 Seemeilen vor Lanzarote – Just sailing
Der Blick auf das Handy bestätigt, ich bin erst um 7 Uhr wach geworden. Karl-Heinz hat mich wieder schlafen lassen. Trotz schlechtem Gewissen bleibe ich noch ein paar Minuten liegen, lausche den Geräuschen, höre randale nordic. Sie schmeißt sich wieder in die Wellen, stundenlang, ohne müde zu werden. Dieses großartige Schiff zeigt dem atlantischen Ozean ihre klaren Kanten. Unermüdlich. Wenn ich schlapp mache, macht sie da weiter, wo ich aufhöre. Ich vertraue ihr. Aber ich höre auch, dass sie mich gerade braucht. Ein leises wimmern: Gib mir mehr Kraft, flüstert sie mir zu.
Ich krabbel aus der Koje, schlüpfe in meine ausgetretenen Bootsschuhe und tausche die Arbeitsfock gegen den Code Zero. 30 Quadratmeter mehr Segelfläche lassen sie beschleunigen, ihr Bug teilt die Wellen: 6,8 Knoten.
Karl-Heinz finde ich in einem desolaten Zustand vor, in Luv in seiner Ecke sitzend, den Kragen seiner Segeljacke zu den Ohren gezogen. Mit wenigen Worten geht er an mir vorbei in seine Koje. Ich muss nur noch den Schweizer rausschmeißen, sagt er. Valentin war in der Nacht von seinem Schlafplatz in im Salon in Karls Koje geflüchtet, er hatte keinen Halt auf den schmalen Kojen des Salons gefunden, der Seegang lies das Schiff wie doll von links nach rechts taumeln.
Ich fühle mich großartig, segel aktiv. Trimme die Segel, korrigiere den Kurs um einige Grad, zusammen knacken wir die 7-Knoten-Marke. Als meine Euphorie nachlässt macht Nordi alleine weiter. Ich setze mich unter die Sprayhood, halte einen Schnack mit Valentin. Wir reden viel über die Berge, das Meer, das einfache Leben, die Natur. Gestern hatten wir einen schwarzen Belugawal an unserer Seite, heute Nacht segelten wir stundenlang durch fluoriszierenden Plankton, die kleinen Lichtpunkte erhellten das Meer.
Um 11 Uhr ist auch Karl-Heinz wieder fit. Körperhygiene steht an. Während Karl sich einfach 5 Eimer Atlantikwasser über den Kopf schüttet, sich einseift und mit noch einigen Eimern wieder abspült, bevorzuge ich die softe Variante. Ich lasse mir ein wenig warmes Süßwasser einlaufen und leder mich im Bad ab. Im Schrank finde ich noch ein Deo, dass die Mädels an Bord vergessen haben. Die Kommentare aus dem Cockpit, als der Duft aus dem kleinen Luk nach oben zieht, möchte ich hier nicht wiederholen.
Valentin kocht zurzeit alles in einem riesigen Topf. Der Seegang lässt nichts anderes zu, wir verzichten zurzeit auf seine aufwendig zubereiteten Menüs. Aber auch in den Riesentopf steckt er immer ein Prise Liebe zum Essen mit hinein, schmeckt ab und verfeinert. Der Gemüseeintopf heute Mittag ist jedenfalls wieder sehr lecker. Dazu gibt es ein Schweizer Bier, das der aus Stromspargründen nur gelegentlich laufende Kühlschrank immerhin auf 12 Grad runtergekühlt hat.
6. August 2019 – Kanaren– Rock'n Roll
Die Nacht ist fürchterlich, es briest auf, stockdüster. Ich schlafe trotzdem immer wieder ein, mein Handy auf der Brust, den Timer auf 20 Minuten gestellt. Ich stehe dann kurz auf, werfe einen Blick in die Runde. Bei einem Routinecheck des Plotters entdecke ich 3 AIS-Signale, die auf uns zu halten. Wir kreuzen den Schifffahrtsweg zwischen Gran Canaria und Europa. Alle drei Frachter sind direkt auf Kollisionskurs. Und nun? Lass mich rennen, bettelt randale, wir gehen vor den Kolossen durch. Sei vernünftig, antworte ich ihr. Das schaffen wir nicht, die Frachter fressen uns. Ich kann über 7 Knoten, vielleicht 8, lass mich los, sagt sie, gib mir mehr Segelfläche.
Ich berge die Fock, drehe sie mit der Winsch ganz weg. Randale seufzt und knarrt, verringert ihre Geschwindigkeit auf unter 5 Knoten. Ich luve um 10 Grad an, der AIS-Computer berechnet, dass die beiden Frachter von Backbord ca. 1 Seemeile vor uns durchgehen. Uff, geschafft. Randale seufzt noch einmal, ist nicht mein Style, murmelt sie. Ich will doch Meilen fressen, viel und schnell fressen.
Der Seegang vor den kanarischen Inseln ist sehr ruppig. Und so erwischt es am Morgen erst mich und dann Karl-Heinz. Als ich die Kaffeekanne ausspülen will, bleibe ich mit meinen Füßen an den Steuerseilen der Windfahnensteuerung hängen und falle auf die Backskiste. Verdammt, tut das weh. Ich sehe schon jetzt den riesigen blauen Fleck am rechten Oberschenkel. Karl-Heinz erwischt es beim Pinkeln in die Hecksee. Obwohl man hinten im Cockpit sicher steht, haut es ihn in einer besonders hohen Welle von den Füßen, er erwischt eine Stütze des Windgenerators. Seglerherz kennt keinen Schmerz, sofort entwickelt er eine Lösung, dass die Edelstahlstange beim nächsten mal nicht aus ihrer Fixierung rutscht: Die Madenschraube wird durch eine durchgebohrte 5er Schraube ersetzt.
Im Insellee von Lanzarote wird es etwas ruhiger. Wir passieren erst die kleine Insel La Graciosa. Als wir auf Höhe Orzola im Norden Lanzarotes sind, wird es hell. Die kargen Vulkane heben sich vom Morgenhimmel ab. Wir betrachten die Dünung, die an den felsigen Ufern aus Lava donnernd auftrifft.
Gegen 10 Uhr durchfahren wir die Molenköpfe von Arrecife, bergen die Segel. Noch eine Linkskurve, an den ersten Stegen vorbei motorend sehe ich schon von Weitem meine Brittifrau auf dem Kopf eines Steges stehen und winken. Ich gebe der Maschine noch ein paar Umdrehungen mehr, mit Schwung fahre ich das Schiff in seine Box. Während die Jungs das Schiff vertäuen springe ich schon auf den Steg und nehme Britta in die Arme. Ich höre randale nordic hinter mir seufzen. Auf See ist sie meine Nummer Eins, wir sind ein Team, das weiß sie. Aber sie weiß auch, dass es amUfer etwas größeres gibt, gegen das sie nicht ankommt. Ich werde immer wieder an Land gehen, zu meiner Britti Woman.
6. bis 11. August 2019 – Lanzarote
Bevor es mit Ryanair am 11. August zurück nach Deutschland geht, verbringen wir zu sechst noch schöne Tage auf unserer kleinen Pirateninsel. Valentin und Evelyn, mein (nicht segelnder) Freund Herbert und Karl-Heinz, Britta und ich. Wir besuchen die Feuerberge, schauen vom Mirador del Rio auf die vorgelagerte Insel La Graciosa, schwimmen am Strand von Caletta de Famara im 22 Grad warmen Atlantik. Im Yachthafen dürfen wir die Adveturess besichtigen, die 30 Meter lange Yacht ist mit ihren fast 100 Jahren eine der letzten erhaltenen Five-Yachten. Karl-Heinz hatte den Eigner angesprochen, ob wir an Bord dürfen. Andächtig laufen wir barfuß über das riesige Teakdeck, bewundern das makellose Mahagonie und stehen ungläubig vor einem offenen Kamin im Salon. Man müsste Millionär sein.
Und wir bringen randale nordic wieder auf Vordermann, waschen ihr Deck und reparieren ein paar Kleinigkeiten. Gut zwei Jahre wird Arrecife nun ihr Heimathafen sein. Kurz vor diesem Törn hat mir mein Chef meinen Urlaubsantrag genehmigt, im Winter 2021/22 werden wir in die Karibik startet. Bis dahin ruh dich aus, mein Greifswalder Mädchen, wir werden beide Kraft brauchen.
Ein paar Zahlen:
Meilen gesamt: 805
Davon unter Maschine: 65
Max. Wellenhöhe (Meter): 5
Sachen durch den Salon
geflogen: Ungezählt (besonders toll ist Mehl)
Besuchte Häfen: 2
Besuchte Restaurants: 5
Liter Wein: 5
Liter Bier 8
Liter Süßwasser: Ca. 200 Liter
Gekochtes Essen: 7
Fische gefüttert: 1 mal Jan, 1 mal Karl-Heinz
Dosenessen: Null
Schäden am Boot: 1 Segel, 1 Steckdose
In der Dusche
vergessenes Shampoo: 1